Dass sich Rechtstexte in der Regel nicht durch ihre hohe Verständlichkeit auszeichnen, ist kein Geheimnis. Aber das ist nicht das einzige Problem für die Finanzinstitute: Allein die schiere Masse neuer oder geänderter Gesetze und Verordnungen ist für die mit Regulatorik befassten Bereiche kaum noch zu stemmen. Die wirtschaftlichen Folgen: Dem Global Regulatory Outlook 2021 von Kroll zufolge befürchtet ein knappes Drittel deutscher Banken Ausgaben für Regulatorik-Maßnahmen von mehr als fünf Prozent der eigenen Einnahmen.

In jedem anderen Geschäftsbereich käme vermutlich sofort die Frage auf, ob hier eine Kostenreduktion durch Digitalisierung möglich ist. Aber im juristischen Umfeld? Hier handelt es sich ja um komplexe Texte, deren Bedeutung häufig über das geschriebene Wort hinausgeht, wo also interpretiert werden muss. Und Computer sind dazu nicht in der Lage. Oder?

Was früher undenkbar war, ist heute durchaus Realität: Technologien wie Natural Language Processing (NLP), eine Teildisziplin der Künstlichen Intelligenz (KI), sind inzwischen zu überschaubaren Kosten in praktischen Anwendungen nutzbar. Sie machen eine automatisierte Analyse komplexer Texte möglich. Gemeinsam mit dem Compliance-as-a-Service-Spezialisten Harpocrates Solutions hat PPI die Probe aufs Exempel gemacht und zwei Richtlinien der Europäischen Bankenaufsicht (EBA) von einer KI-Anwendung auf notwendige Compliance-Maßnahmen seitens eines Kreditinstituts prüfen lassen. Dabei handelte es sich um die Outsourcing-Richtlinie EBA/GL/2019/02 und die IT-Sicherheitsrichtlinie EBA/GL/2019/04. Beide Vorschriften wurden vorher bereits für einen Kunden herkömmlich, also händisch, geprüft. Das ermöglichte die Kontrolle der KI-Ergebnisse, aber zugleich auch mittels der vorhandenen Informationen eine Verfeinerung des Algorithmus.

Unser Proof of Concept (PoC) sollte Daten zu folgenden Punkten liefern:

  • Genauigkeit des NLP-Algorithmus bei Textverarbeitung und -extraktion
  • Zeitersparnis gegenüber einer manuellen Bearbeitung der Vorschriften
  • Entstehende Produktivitätsgewinne
  • Einsparungen bei Kosten und Gesamtverarbeitungszeit

Beim ersten Durchlauf wurden Genauigkeitswerte von 73 Prozent bei der Outsourcing-Richtlinie und 64,1 Prozent bei der Sicherheitsrichtlinie erreicht, jeweils bezogen auf die richtig erkannten notwendigen Maßnahmen. In einer zweiten Iteration kam eine mithilfe der bereits vorliegenden Erkenntnisse verfeinerte Ontologie des Modells zum Einsatz. Das bewirkte enorme Qualitätssprünge: Die Genauigkeit der Ergebnisse stieg auf 93,1 Prozent bei der Outsourcing-Vorschrift und auf 95,4 Prozent bei der Sicherheitsrichtlinie.

Dies zeigt zum einen die Bedeutung einer geeigneten Ontologie für eine NLP-Anwendung. Nur dadurch lässt sich domänenspezifisches Wissen in einem maschinenlesbaren Format darzustellen. Bei sehr unstrukturierten Untersuchungsgegenständen, wie eben juristischen Textdatenquellen, lohnt der Aufbau einer eigenen Ontologie mittels hochspezifischen Wissens zur Finanzregulierung und öffentlichen Wissensontologien gleichermaßen.

Zum anderen werden hier die Möglichkeiten erkennbar, die NLP-Anwendungen für die Institute bieten. Sie können die Bearbeitungszeit für die Analyse regulatorischer Vorschriften um etwa 80 Prozent reduzieren, ohne dabei Abstriche an der Datenqualität hinnehmen zu müssen. Die Produktivitätsgewinne dürften insgesamt ähnlich hoch ausfallen – sehr zur Freude der mit Regulatorik befassten Bereichen in den Stabsstellen von Finanzdienstleistern. Denn aktuell garantiert selbst eine gründliche händische Prüfung angesichts der Überlastung der Abteilung mit neuen Vorgaben keine Vollständigkeit. Moderne Technologien würden bei den Messgrößen Geschwindigkeit, Genauigkeit und Vollständigkeit in jedem Fall Verbesserungen bringen.

Die Ergebnisse des PoC sind im gemeinsamen Whitepaper „Prozessverbesserung in der Regulatorik durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz“ von PPI AG und Harpocrates Solutions nachzulesen. Dieses kann hier zum Download angefordert werden:
https://www.ppi.de/banken/think-banking/mit-fintech-partnerschaften-gemeinsam-die-zukunft-gestalten/whitepaper-prozessverbesserung-in-der-regulatorik-durch-kinlp/

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