Ab dem 28. Juni 2025 tritt in Deutschland das sogenannte Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (kurz: BFSG) in Kraft, welches Barrierefreiheitsanforderungen an Produkte und Dienstleistungen privatwirtschaftlicher Unternehmen formuliert. Dabei ist das Spektrum betroffener Anwendungen und Leistungen weit gefächert: beispielsweise sind Selbstbedienungsterminals von Verkehrsdienstleistungen betroffen, genauso wie eBooks, Online-Shops (eCommerce) sowie Bankdienstleistungen für Verbraucher und Geldautomaten. Egal ob Webseiten, Apps, Medien oder Dokumente: alle digitalen Kundenkontaktpunkte sind von den Auswirkungen betroffen.

Rechtzeitiges Handeln ist dabei sehr wichtig: Die Gesetzgebung gibt umfangreiche Prüfmuster vor, nach welchen die Behörden die Barrierefreiheit der Dienstleistungen prüfen. Betroffen ist dabei nicht nur die Dienstleistung selbst, sondern auch alle relevanten Informationen um das Produkt und den Anbieter. Dazu können Verbraucher unkompliziert Probleme melden. Bei Verstößen drohen neben Bußgeldern in der schlimmsten Konsequenz vorübergehende angeordnete Abschaltungen von nicht barrierefreien Funktionen, bis die Barrierefreiheit hergestellt werden konnte. 

Behinderung als Bereicherung der menschlichen Vielfalt

Menschen mit Behinderungen sowie ältere Menschen machen weltweit tagtäglich die Erfahrung, dass sie nicht ausreichend vor Diskriminierung und Ausgrenzung geschützt werden. Obwohl sich in den letzten Jahrzehnten technologisch ein breites Spektrum an Möglichkeiten entwickelt hat, Gleichberechtigung und Teilhabe für Menschen mit Behinderung oft sogar ohne größere Aufwände umzusetzen, hat der Markt dies nicht eigenständig regulieren können.

Im März 2009 ist die UN-Behindertenrechtskonvention mit dem Antrieb, dieser Ungleichbehandlung international entgegenzutreten, auch in Deutschland in Kraft getreten und ist seitdem geltendes Recht, welches von allen staatlichen Stellen umgesetzt werden muss. Neben den Prinzipien wie Nicht-Diskriminierung, Chancengleichheit, Selbstbestimmung und Inklusion enthält die Konvention auch Verpflichtungen an Partizipation, Bewusstseinsbildung und Zugänglichkeit sowie Einzelrechte für Betroffene. Ziel der Konvention ist der volle und gleichberechtigte Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen.

Rechte für Menschen mit Behinderungen in Europa – Der European Accessibility Act

Der European Accessibility Act (EAA) ist das zentrale Gesetz zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Europa, welches nun verstärkt privatwirtschaftliche Unternehmen ins Blickfeld nimmt. Die Europäische Union setzt sich damit für eine Harmonisierung des Marktes ein und versucht so zu verhindern, dass Unternehmen Sonderlösungen für verschiedene Ländermärkte entwickeln müssen.

Im Juni 2019 trat die Richtlinie (EU) 2019/882 in Kraft, welche von allen europäischen Ländern bis Mitte 2022 in nationales Recht überführt werden sollte. In den meisten Fällen ist dies auch inzwischen geschehen. Ab dem 28. Juni 2025 werden die jeweiligen nationalen Rechte dann angewendet.

Der Blickwinkel Deutschlands auf Barrierefreiheit

Der Artikel 3 des Grundgesetzes verankert seit 1994 die Gleichstellung aller Menschen und das Diskriminierungsverbot auch für Menschen mit Behinderungen. Der European Accessibility Act wurde in Deutschland im Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) sowie durch den zweiten Medienänderungsstaatsvertrag umgesetzt und verstärkt diesen Grundgesetzartikel seit Juli 2021. Somit gelten ab Mitte 2025 für alle Produkte und Dienstleistungen innerhalb des europäischen Binnenmarktes verschiedenste Auflagen, die die gleichberechtigte und diskriminierungsfreie Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, Einschränkungen und älteren Menschen fördern sollen.

Barrierefreiheit umsetzen – Die Konsequenzen

Wer sich in Vorbereitung auf die Gesetzgebung tiefer mit dem Thema Barrierefreiheit auseinandersetzt merkt schnell, dass das Verständnis und die Umsetzung von Barrierefreiheit hoch komplex ist und alle Teilbereiche in Unternehmen betroffen sind: Es müssen nicht nur Prozesse und Budgets angepasst werden, es werden neue Qualifikationen und neue Rollen in Unternehmen benötigt: von Kreation über Entwicklung bis zum Test – dauerhafter Wissensaufbau und Etablierung neuer Prozesse sind unverzichtbar und benötigen Zeit, um sich einzuspielen. Erweitertes Fachwissen, das Wissen über regulatorische Anforderungen wie beispielsweise die Harmonisierte Europäische Norm (EN) 301 549 und neue technische Kompetenzen, z.B. zur WCAG, laufen dabei Hand und Hand. Die Umsetzung von Barrierefreiheit schafft eine intensive Disruption, die gezielt gesteuert werden sollte.

Der Countdown läuft – das können Sie jetzt tun!

1.) Rechtliche Bewertung: Welche Systeme und Teile sind genau betroffen?

Prüfen Sie zusammen mit Ihrer Rechtsabteilung genau, welche Ihrer Produkte und Dienstleistungen bzw. welche Teilaspekte davon aus Sicht Ihrer Juristen betroffen sind und damit in den Fokus der Betrachtungen rücken sollten.

2.) Überblick verschaffen: Was ist genau zu tun?

Alle von Ihrer Rechtsabteilung benannten Produkte und Dienstleistungen müssen im Detail auf Barrierefreiheit und entstehenden Handlungsbedarf geprüft und die Auswirkungen der Veränderungen ermittelt werden. Die Ergebnisse der Prüfungen können sich nicht nur auf ihr Corporate Design auswirken, sondern beispielsweise auch auf ihre Entwicklungs-, sowie auf Redaktionsprozesse. In diesem Rahmen empfehlen wir Ihnen ein detailliertes Audit, auf Basis dessen Sie bessere Planungen für Kosten, Zeit und Kapazitäten vornehmen können.

3.) Umsetzung frühzeitig einplanen

Die meisten digitalen Angebote sind aktuell nicht barrierefrei umgesetzt und weisen zumeist auch einen hohen Anpassungsbedarf auf. Gleichzeitig sind die Regeln zur Umsetzung sehr vielfältig und komplex, lassen teilweise sogar Interpretationsspielraum. Beginnen Sie daher frühzeitig damit, die Anforderungen an die Barrierefreiheit umzusetzen, um Zeiten für Rückfragen, Lernkurven und besondere Komplexitäten einzuplanen. So schaffen Sie es, ihre digitalen Angebote rechtzeitig zum in Kraft treten der Gesetzgebung ausreichend barrierefrei zu gestalten. 

Benötigen Sie Unterstützung? PPI ist an Ihrer Seite. Wir beraten Sie gerne zu allen Fragen rund um das Thema Barrierefreiheit und die regulatorischen Anforderungen, helfen mit Checks oder Audits Ihrer digitalen Angebote oder begleiten die Umsetzung der konkreten Anforderungen.

Autor: Sandra Schröpfer

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