„Sagen Sie, ich habe gehört, Sie arbeiten immer noch agil? Haben Sie denn die aktuellen Ereignisse nicht mitbekommen?“
So, oder so ähnlich könnte die Unterhaltung zwischen zwei Bankmitarbeitern aktuell laufen. Hintergrund ist, dass aktuell wieder viele Banken auf ein Wasserfallmodell zurückwechseln, leider nicht gezielt, sondern hierarchisch angeordnet. Klingt nach „oldschool“ Management? Ist es auch. Aber warum werden agile Teams immer mehr aus dem Arbeitsmodus getrieben und enden in einem Zustand des Chaos? Ich habe bereits über die Skalierung der agilen Prozesse geschrieben. Das Fehlen dieser Skalierung ist nur ein Grund für das aktuelle Chaos, auf die weiteren Gründe gehe ich im Folgenden ein. Kleiner Tipp für das Lesen der folgenden Zeilen: Sie eignen sich hervorragend für eine Runde Bullshit-Bingo 😉
Bäumchen wechsel dich, oder: den Letzten beißen die Hunde
Agilität muss vom C-Level-Management getragen und unterstützt werden. Was aber, wenn dieses Management die Firma verlässt? Nun, in dem Fall geht der Aufsichtsrat auf die Suche nach Nachfolgern, aber ein agiles Mindset spielt bei der Auswahl keine Rolle. Jetzt kommt dieser Manager in eine ihm unbekannte Welt mit so neumodischem Schnickschnack wie Agilität. Die Situation ist ein wenig wie bei Kevin – Allein zu Haus, von überall her versuchen Personen ihm den Job streitig zu machen, also „wehrt“ er sich mit den ihm bekannten Möglichkeiten und Methoden.
Mit dem Einstieg ins Unternehmen gleich eine größere organisatorische Veränderung vorzunehmen, würde bedeuten, sich im Aufsichtsrat rechtfertigen zu müssen und die bisherige Organisation, und somit die Entscheidungen des Aufsichtsrates aus der Vergangenheit, infrage zu stellen. Um das zu machen, müsste ein Vorstand schon ziemliche „bad idea jeans“ tragen, Freunde der 80er-Jahre-Commercials und Saturday Night Life wissen, was ich meine.
Da ist es doch viel einfacher, Wasserfall implizit einzuführen, indem man feste Termine einfordert, diese idealerweise ohne Rückmeldung der ausführenden Einheiten vorgibt und verlangt, dass ein Thema bis dahin vollständig umgesetzt sei. Im wöchentlichen Steuerungskreis lässt man sich dann den Status berichten. Einwände wie: „Das ist in der Zeit nicht umsetzbar“ oder lächerliche Ausreden wie „Der Scope in einem Sprint darf nicht geändert werden“ werden über die alte Skat-Regel „Über sticht unter“ weggebügelt. Probleme werden immer weiter nach unten delegiert, bis sie nicht mehr delegierbar sind, und die unterste Ebene muss sich dann zwischen Pest und Cholera entscheiden. Wen wundert es, dass diese dann früher oder später das Unternehmen verlassen oder mit Burn-out enden.
Aber kommen wir noch einmal zurück auf Kevin, der allein zu Hause ist und sich gegen die Personen zur Wehr setzen muss. Was ist seine Motivation für sein Handeln? Genau, das Gefühl von Sicherheit. Ich nenne es mal gefühlte Sicherheit.
Sicherheitsgefühl entsteht zwischen den Ohren, nicht durch Kennzahlen
Kevin ist also allein zu Hause und die Bedrohung steht vor der Tür. Was versucht er also, er versucht, sich ein Sicherheitsgefühl zu geben und verwendet dabei Methoden, die er aus Comics kennt. Sicherheit vermittelt ihm dabei die Kontrolle, dass die von ihm identifizierten Schwachstellen durch seine Methoden abgesichert wurden. Transferieren wir diese hypothetische Geschichte in die Realität unseres Managers.
Wie bekommt er das Gefühl, auf der sicheren Seite zu stehen? Durch Kontrolle, das war schon in der Vergangenheit ein probates Mittel, um zu sehen, ob die getroffenen Maßnahmen greifen. Jeder, der schon mal einen Statusreport geschrieben hat, kennt aber Begriffe wie „der Status ist kirschgrün“ oder die Diskussionen, weshalb der Status unbedingt grün und nicht rot ist. Klassischerweise wechselt hier der Status immer von Grün direkt auf Rot, da schon das Berichten eines gelben Status nicht gewünscht ist. Welche Sicherheit hat unser Manager Kevin dadurch? Genau, keine. Trotzdem fühlt er sich sicher, weil er glaubt, die Zahlen und die Berichte sind seine Sicherheit, auch wenn die Realität eine andere ist.
Speichern wir dieses Wissen mal kurz ab und widmen uns einem anderen Szenario, dem der wirtschaftlichen Krise. Der Presse lässt sich entnehmen, dass Deutschland gerade in eine Rezession rutscht, was natürlich auch bei Banken eine Krise auslösen kann, wenn entsprechend das Geschäft weniger wird. Kevin überlegt also, was denn die Maßnahmen waren, die ihm in der Finanzkrise 2009 geholfen haben, die Krise zu bewältigen. Getreu der Logik altbewährtes lebt am längsten, müssen also auch die damaligen Methoden heute helfen, die Krise zu bewältigen, und in der Konsequenz muss Kevin in alte Verhaltensmuster zurückfallen. Dass die Krise von damals nichts mit der von heute zu tun hat, spielt dabei keine Rolle, denn es geht um gefühlte Sicherheit. Dabei sind agile Methoden wenig hilfreich, setzen diese doch auf Vertrauen und nicht auf Kontrolle und sind somit dem Sicherheitsgefühl im Wege. Aber hat uns nicht gerade Agilität in der Corona-Krise geholfen, auf plötzliche und unvorhergesehene Ereignisse schnell reagieren zu können?
Wir lernen also, dass Sicherheit als Gefühl nicht immer rational ist und Manager auch nur Menschen sind. Aber auch, dass die heutigen Entscheider noch gewöhnt sind, mit alten Methoden zu agieren und kein Vertrauen in agile Methoden haben. Das ist insbesondere in Krisensituationen wichtig zu verstehen. Aber hat nicht genau solch eine Krise erst die Einführung von Agilität bei Banken bewirkt?
Druck erzeugt Diamanten, ohne Druck gibt es nur Grillkohle
Drehen wir die Uhren doch mal um zehn Jahre zurück. Damals kamen die ersten agilen Methoden in Banken zum Einsatz. Nicht immer schön, aber es galt damals als so ein „Entwicklerding“ ähnlich wie Extreme-Programming. Dann passierte aber etwas, was das Handeln beeinflusste, nämlich Druck aus dem Markt, und zwar in Form von FinTechs, die drohten, den Banken einen Großteil der Kunden und somit des Geschäftes abspenstig zu machen.
Ihr Zaubermittel war die Agilität in ihrer Entwicklung, wodurch sie ihren Kunden neue Funktionen binnen weniger Wochen anbieten konnten, während Banken Neuerungen nur über ihre drei Jahresreleases zur Verfügung stellen konnten. FinTechs drohten damals, die Bestandsbanken abzuhängen und speziell jüngere Kunden abzuwerben.
Dadurch sahen sich die Banken gezwungen, Agilität im Unternehmen einzuführen. Das passierte nur in den seltensten Fällen aus der Überzeugung heraus, dass die Agile Transformation einen Mehrwert für das Unternehmen stiftet. Folglich arbeiteten die meisten Vorstände wie gewohnt weiter, während sich die Welt unter ihnen änderte. Da gab es auf einmal Tribes, Squads, Guilds und viele andere neue Dinge, die aus einem Supertanker ein Schnellboot machen sollten und auch machten. Aber so langsam änderte sich der Markt und der Druck durch die FinTechs ließ nach.
Aktuell ist von dem FinTech-Boom nicht viel übrig geblieben. Sie wurden entweder durch Banken aufgekauft oder wurden durch die BaFin reguliert und in ihrer Expansion bzw. Funktionalität eingeschränkt. Damit ist aber auch der Druck, sich als agiles Unternehmen aufzustellen, weg und folglich fällt man wieder in die alten und gewohnten Verhaltensmuster zurück. Aber wird das gut gehen?
Ich schreib’s an jede Wand, neue Manager braucht das Land
Einer Studie des MIT-Professors Daron Acemoğlu zufolge bringen Manager mit MBA oder Abschluss in BWL Unternehmen keine Vorteile und gefährden sogar die langfristige Rentabilität. Dies führt der Autor darauf zurück, dass die Manager meist eine Ausbildung vor dem Jahr 2000 genossen, welche intensive Gewinnmaximierung und Kostensenkung propagiert. Schaut man sich aber die Riege der Manager in den Dax-Konzernen an, so liegt das Durchschnittsalter bei 54,5 Jahren, nur 1 % der Vorstände ist jünger als 40 und nur 3 % gehören der Generation „Digital Natives“ (ab Jahrgang 1981) an.
Da laufen Heerscharen von Beratern durch die Banken, um den Mitarbeitern agile Methoden zu vermitteln, und die Wichtigsten vergessen sie: die Vorstände der Unternehmen, die verstehen müssen, was Digitalisierung und Agilisierung für ein Unternehmen bedeuten. Wen wundert es da, dass sie wieder in ihre alten, in der Vergangenheit gelernten, Vorgehensweisen zurückfallen?
Es gibt kritische Stimmen, die behaupten, die aktuelle Wirtschaftskrise sei eine Management-Krise. Zu wenig Innovation, die würde ja was kosten, keine bis wenig Flexibilität und in der Krise dann den Staat nach Hilfen anbetteln. Wir benötigen in Deutschland mehr Innovation, mehr Flexibilität und Agilität in den Unternehmen und weniger Controller. Manager, die nur basierend auf Zahlen Entscheidungen treffen, werden bald durch eine KI ersetzt werden, böse Zungen behaupten, das könnte ein Excel-Sheet schon heute machen. Zahlen sind schlecht: Leute entlassen, Zahlen sind gut: Leute einstellen. Dafür benötigen wir keine Manager. Die sollen Märkte entdecken, Bedarfe wecken und Innovationen fördern und fordern. Dann muss ich auch keine Angst mehr vor FinTechs haben.